Bob Dylan, eigentlich Robert Allen Zimmerman (* 24. Mai 1941 in Duluth, Minnesota), ist ein US-amerikanischer Singer-Songwriter und Lyriker sowie Nobelpreisträger. Er gilt als einer der einflussreichsten Musiker des 20. Jahrhunderts. 2016 erhielt er „für seine poetischen Neuschöpfungen in der großen amerikanischen Songtradition“ als erster Musiker den Nobelpreis für Literatur.
Dylan ist Sänger und spielt Gitarre, Mundharmonika, Orgel sowie Klavier. Nachdem er seine ersten Erfolge als Folkmusiker erzielt hatte, wandte er sich Mitte der 1960er Jahre der Rockmusik zu, schöpfte aber im Laufe seiner Karriere auch aus anderen Musiktraditionen wie Country, Blues, Gospel und dem Great American Songbook. Dylans Texte im Verbund mit der musikalischen Darbietung und Aufführungspraxis zeichnen sich durch vielschichtige Bezugsebenen aus, in denen High culture und Popular culture aufeinandertreffen.
In sein Werk eingewoben sind Reverenzen auf zahlreiche Personen der amerikanischen und europäischen Musik- und Literaturgeschichte, darunter beispielsweise Hank Williams, James Joyce, Woody Guthrie, Ovid, Merle Haggard, William Shakespeare, Jerry Lee Lewis, Arthur Rimbaud, John Lennon, Homer, Billy Joe Shaver, Petrarca oder Frank Sinatra. Sowohl das in der Kombination vielfältiger Traditionslinien sehr eigenständige, erfindungsreiche Werk Dylans als auch seine rätselbehaftete Persönlichkeit führten zu einer umfangreichen kulturellen und geisteswissenschaftlichen Rezeption.
Leben
Kindheit und Jugend
Robert Allen Zimmerman ist der älteste Sohn einer liberalen jüdischen Familie aus dem Mittleren Westen. Er wurde am 24. Mai 1941 im St. Mary’s Hospital in Duluth, Minnesota, geboren und verbrachte die ersten sechs Lebensjahre in der Hafenstadt am Lake Superior. Seine Eltern Abraham „Abe“ Zimmerman (1911–1968) und Beatrice „Beatty“ Stone (1915–2000) waren die Nachfahren türkisch-, litauisch- und ukrainisch-jüdischer Immigranten, die 1902 bzw. 1905 aus Odessa in die Vereinigten Staaten eingewandert waren. Nachdem Vater „Abe“ an Kinderlähmung erkrankte, verlor er seine Stelle als leitender Angestellter der Standard Oil Company und die Familie geriet nach der Geburt des zweiten Sohnes David Benjamin (* 1946) in wirtschaftliche Schwierigkeiten. Um der drohenden Verarmung zu entgehen, verließen die Zimmermans Duluth und zogen 1947 zu den Großeltern mütterlicherseits nach Hibbing, im Norden Minnesotas. Die Kleinstadt liegt auf der Mesabi Range, einer ausgedehnten Lagerstätte von Eisenerz, und war durch den intensiven Tagebau der Hull-Rust-Mahoning-Mine nachhaltig geprägt. In Hibbing stieg der Vater in den Elektro- und Haushaltswarenladen seiner beiden Brüder ein und die Familie bezog wenig später ein Einfamilienhaus in einer ruhigen Wohngegend. Wenn die Kunden ihre Schulden nicht zurückzahlen konnten, schickte der Vater seinen ältesten Sohn los, um die Ware wieder zurück zu holen.
Der junge „Bobby“ erlebte eine normale Kindheit in der nordamerikanischen Provinz, wenngleich das kleinbürgerliche Umfeld der Bergarbeiterstadt einen introvertierten Freigeist wie ihn zum Außenseiter werden ließ. Er war bemüht, seine Gefühlswelt über andere Mittel auszudrücken und ließ schon früh eine Vorliebe für Musik erkennen. Die Eltern förderten die Begeisterung ihres Sohnes, der als Zehnjähriger unter Anleitung eines Cousins mit dem Klavierspiel begann, bevor er zur Akustikgitarre wechselte und sich das Mundharmonikaspiel selbst beibrachte. Im Radio hörte er Country-Musik, dann als Teenager hauptsächlich Rhythm and Blues sowie Rock ’n’ Roll. Seine musikalischen Vorbilder fand er sowohl in Hank Williams als auch in Muddy Waters, Howlin’ Wolf, Chuck Berry und Elvis Presley, deren Standards er auf der Gitarre nachzuspielen begann. Besonderen Eindruck hinterließen die frühen Stücke von Elvis Presley, dessen Version von Blue Moon of Kentucky er sich beibrachte und noch bis 1999 auf seinen Konzerten spielte. Neben der Musik galt sein Interesse der Literatur und Bobby begeisterte sich schon als Jugendlicher für die Werke des Autors John Steinbeck.
Ich wollte immer schon Gitarrist und Sänger sein. Seit ich zehn, elf oder zwölf war, war dies das einzige, was mich interessierte … Henrietta war die erste Rock-’n’-Roll-Platte, die ich hörte.
Bob Dylan
Als Schüler an der Hibbing High School traf Robert („Zimmy“) auf Gleichgesinnte und wurde Mitglied der Gesangsgruppe The Jokers. Aus ihnen gingen 1956 The Golden Chords hervor und angetrieben durch die Ablehnung der in Hibbing herrschenden Konformität, spielte er mit zwei Schulfreunden in der elterlichen Garage die Stücke bekannter Musiker nach. Bobby imitierte seine musikalischen Vorbilder und begann mit seiner Formation bei Talentwettbewerben oder Schulfesten erste Live-Erfahrungen zu sammeln. Mit ihren rohen und ungeschliffenen Rock ’n’ Roll-Coverversionen hatten die Golden Chords bei den Gleichaltrigen der Stadt durchaus Erfolg. Am 31. Januar 1959 besuchte er in Duluth ein Konzert des charismatischen Buddy Holly, der drei Tage später bei einem Flugzeugabsturz das Leben verlor, wodurch sich bei dem 17-jährigen Schüler der Wunsch, selbst ein Rock ’n’ Roll-Star zu werden, immer deutlicher manifestierte.
Entdeckung des Folk und Wandlung zu «Bob Dylan»
Nach dem High-School-Abschluss schrieb Robert Zimmerman ins Jahrbuch, er würde die Schule verlassen, um „Little Richard zu folgen.“ Er wollte die provinzielle Enge seiner ländlichen Heimat verlassen und zeigte keine Neigung in das Geschäft seines Vaters einzutreten. Als er im Sommer 1959 einige Wochen in Fargo, North Dakota kellnerte, lernte er Bobby Vee kennen, der bereits lokale Erfolge als Rock ’n› Roller vorweisen konnte. Unter dem Pseudonym Elston Gunnn absolvierte er zwei Auftritte als Pianist in dessen Begleitband The Shadows, da sich die Gruppe jedoch kein eigenes Klavier leisten konnte, war das Engagement nur von kurzer Dauer.
Im September 1959 verließ Robert nach eigenen Angaben die „Wildnis“ und schrieb sich für ein Studium der Kunstwissenschaften an der University of Minnesota ein. In Minneapolis bezog er ein Zimmer im Verbindungshaus der jüdischen Studentenverbindung Sigma Alpha Mu. Als Student besuchte er allerdings kaum Lehrveranstaltungen, sondern verbrachte seine Zeit lieber in den Bars des Bohème-Viertels Dinkytown und stieg immer intensiver in die aufstrebende Folkszene ein. In diesem Umfeld beschäftigte er sich eingehend mit dem Sänger und Bürgerrechtler Woody Guthrie, der während der Great Depression zu einem Idol der Gewerkschaftsbewegung aufgestiegen war. Guhtrie war ein Okie, der im Stil des Talking Blues (Sprechgesang) einprägsame Balladen über Armut und Dürre des Dust Bowl verfasst hatte. Angetrieben durch seine Begeisterung für Guthries Authentizität und dessen Technik, einen Folkstandard mit eigenen Texten und veränderter Phrasierung zu modifizieren, wandte er diese Kunstform selbst an und imitierte Guthrie bis in kleinste Detail. Zunächst versuchte er sich unter dem Namen Bobby Zimmerman selbst als Folksänger zu etablieren und ließ keine Gelegenheit aus, um in den lokalen Clubs der Stadt aufzutreten. Im Wesentlichen bestand sein Repertoire aus Guthries Liedern und Standards, er erweiterte es jedoch stetig um Songs von Pete Seeger, Cisco
Houston, Odetta und Leadbelly. In dieser Phase legte er sich das Pseudonym Bob Dylan zu, dessen Entstehung er selbst immer wieder unterschiedlich begründet. Am verlässlichsten dürfte wohl Robert Sheltons Rekonstruktion in seiner Biografie No Direction Home sein, nach der sich der junge Robert Zimmerman an der Figur des Matt Dillon aus der Fernsehserie Rauchende Colts orientiert, die Schreibweise aber extravagant variiert. Eine bekanntere und wahrscheinlichere Möglichkeit ist, dass sich der Name an den walisischen Dichter Dylan Thomas anlehnt, den er bewunderte und von dem er einige Bücher besaß. Er hat auch schon behauptet, der Name sei ihm einfach so eingefallen. Am 2. August 1962 änderte Robert Zimmerman seinen Namen offiziell in Bob Dylan.
Der Roman On the Road von Jack Kerouac und Guthries Beschreibung des Hobo-Wanderlebens wurden zum Vorbild der künstlerischen Identität des jungen Bob Dylan, den es zunehmend aus dem Mittleren Westen hinausdrängte. Dylan begann eine Legende um seine Person zu stricken und seine wahre Herkunft zu mystifizieren. Einen mehrwöchigen Aufenthalt in Denver und Umgebung aus dem Sommer 1960 schmückte er in seinen Erzählungen aus indem Dylan behauptete, auf Güterwagen durch das ganze Land getrampt zu sein. Dabei habe er auf einem Indianerfestival in Gallup, New Mexico, getanzt und außerdem das Grab des verstorbenen Country-Bluesmusikers Blind Lemon Jefferson in Texas besucht. Als Dylan erfahren hatte, dass Guthrie wegen eines schweren Nervenleidens in New Jersey im Krankenhaus lag, beschloss er sein Idol zu treffen. Nach dem Ende seines ersten Studienjahrs teilte Dylan seinen Eltern im Dezember 1960 mit, er wolle eine Karriere als Musiker einschlagen. Diese reagierten zunächst verärgert, gaben ihrem Sohn schließlich ein Jahr Zeit, machen zu können was er wolle. Sollte sich bis dahin kein Erfolg einstellen, müsse er an die Universität zurückkehren und sein Studium fortsetzen.
1961: Erste Erfolge als Folksänger
Über Umwege gelangte der 19-jährige Bob Dylan am 24. Januar 1961 nach New York City und bezog ein Zimmer in Greenwich Village, Manhattan. Der Stadtteil galt als das führende Künstlerviertel des Landes und niedrige Mieten hatten das Village zum Anlaufpunkt für Amerikas Künstler und Rebellen werden lassen, zu denen sich in den 1950er Jahren die Vertreter der Beat Generation, die Beatniks, gesellten. Die Beatniks wurden in ihren Werken zunehmend politisch und sorgten für einen steten Zustrom von Besuchern aus allen US-Bundesstaaten. Ihre Auftritte in den sogenannten Coffeehouses waren so gut besucht, dass die Bürgersteige rund um den zentral gelegenen Washington Square Park an den Wochenenden überfüllt waren und für den Verkehr gesperrt werden mussten. Zu Beginn der 1960er Jahre ergänzte der Folk die Beatnik-Bewegung, und Musiker wie Fred Neil, Phil Ochs und Tom Paxton hatten ihre ersten Auftritte im Village. Vor diesem Hintergrund verlor Dylan sein ursprüngliches Ziel nicht aus den Augen und besuchte „seinen letzten Helden“ Woody Guthrie im Greystone Park Psychiatric Hospital. Guthrie litt an der unheilbaren Nervenkrankheit Chorea Huntington und war bettlägerig. Da eine Unterhaltung mit ihm sehr mühselig gewesen wäre, spielte Dylan ihm stattdessen Guthrie-Songs vor. Bei unzähligen weiteren Besuchen in den folgenden Monaten entstand zwischen dem dahinsiechenden Folksänger und dem Jungmusiker eine Freundschaft, die sich vornehmlich über Musik vermittelte. Seine Bewunderung und die Eindrücke der Besuche verarbeitete er später in Song to Woody, einer seiner ersten Eigenkompositionen, und im Gedicht Last Thoughts on Woody Guthrie, das er als einziges aus seiner Feder jemals vortrug. Er las es live während seines ersten großen Konzerts in der New Yorker Town Hall am 12. April 1963.
Allmählich fasste Dylan, der nur über das Zuhören viele Stilrichtungen aufsaugen konnte, in New Yorks Folkszene Fuß und wurde Stammgast in Clubs wie dem Café Wha?, dem Commons oder Gerde’s Folk City. Hier lernte er die Folkmusiker Pete Seeger, Ramblin’ Jack Elliott, Dave Van Ronk oder die Clancy Brothers kennen, die wie die Sängerin Odetta, großen Einfluss auf ihn ausübten. Dylan verschleierte seine wahre Herkunft und ließ sein Umfeld glauben, er sei auf Jahrmärkten in New Mexico aufgewachsen und kultivierte sein Image als proletarischer Herumtreiber. Sein erstes professionelles Engagement hatte Dylan ab dem 11. April 1961 in Gerde’s Folk City. Er spielte für zwei Wochen im Vorprogramm des Bluesmusikers John Lee Hooker. Trotz seines eigenwilligen Stils und seiner schnarrenden Stimme hatte Dylan weitere Erfolge in kleinen Clubs und machte als Mundharmonikaspieler erste Schallplattenaufnahmen für Harry Belafonte und Victoria Spivey. Am 29. September 1961 veröffentlichte der Musikkritiker Robert Shelton in der New York Times einen wohlwollenden Artikel, in dem er dem stubbeligen Youngster eine künstlerisch bedeutsame Zukunft vorhersagte.
„Mit seinem engelhaften Gesicht und dem dichten, widerborstigen Haarschopf, den er zum Teil mit einer schwarzen Huckleberry-Finn-Cordmütze bedeckt, sieht Dylan wie eine Kreuzung aus Chorknabe und Beatnik aus. An seiner Kleidung könnte er noch arbeiten, aber wenn er mit seiner Gitarre oder Mundharmonika oder am Klavier hantiert und neue Songs schneller komponiert, als er sie sich überhaupt merken kann, gibt es keinen Zweifel daran, dass er vor Talent aus allen Nähten platzt. Wenn es um seine Herkunft und seinen Geburtsort geht, ist Mr. Dylan nicht sehr gesprächig, doch hier zählt weniger, wo er herkommt, sondern viel mehr, wo er hingeht. Und sein Weg scheint direkt nach oben zu zeigen.“
– Robert Shelton, New York Times, 29. September 1961
Auch der legendäre Jazz-Produzent John Hammond wurde, sehr zur Verwunderung zahlreicher Kollegen, auf die Szene-Bekanntheit aufmerksam und nahm Dylan am 25. Oktober 1961 für das Major-Label Columbia Records unter Vertrag. Nach den Konditionen des Vertrages, der zunächst auf fünf Jahre angesetzt war, standen dem Musiker ein kleiner Vorschuss und lediglich fünf Prozent der Einnahmen aus den Plattenverkäufen zu. Dies kümmerte Dylan aber nicht, da er froh war, überhaupt einen Plattenvertrag erhalten zu haben. In zwei Aufnahmesessions (20./22. November 1961) spielte Dylan sein erstes Album Bob Dylan ein, das neben zwei Eigenkompositionen, überwiegend aus Traditionals bestand. Obwohl sein Debütalbum weder kommerziell noch künstlerisch wirklich befriedigend war, trug es doch enorm zu Dylans Bekanntheit bei.
1962-1964: Idol der Protestbewegung
Dylans wohl wichtigste Bezugsperson in den frühen New Yorker Jahren war seine Freundin Suze Rotolo, die er in Greenwich Village kennengelernt hatte. Rotolo war seine künstlerische Inspiration, vor allem aber weckte sie Dylans Sensibilität für gesellschaftskritische Themen. Als Sekretärin der Bürgerrechtsorganisation CORE machte sie ihn mit vielen Persönlichkeiten der Bürgerrechtsbewegung bekannt und verstärkte Dylans Interesse an den Werken der französischen Symbolisten Arthur Rimbaud, Paul Verlaine und Charles Baudelaire. Die wechselvolle Beziehung inspirierte ihn zu den sogenannten Love/Hate-Songs wie Don’t Think Twice, It’s All Right, Boots of Spanish Leather und Ballad in Plain D, mit denen er die damals übliche Form des romantisch verklärten Lovesongs um eine bittere Variante erweiterte. Ein zweiter wichtiger Orientierungspunkt in Dylans damaliger Phase wurde Albert Grossman, der ihn ab Mai 1962 offiziell als Manager betreute. Grossmann war ein einflussreicher Impresario, der im Hintergrund die Fäden zog, um Ruhm und Ruf seines neuen Schützlings zu mehren.
Trotz des schleppenden Absatzes seines ersten Albums entwickelte sich Dylan zu einem ernstzunehmenden Künstler, der an der Seite von Pete Seeger für zahlreiche Auftritte außerhalb New Yorks engagiert wurde. Durch die Verbindung von politischem Realismus und Poesie schuf er die Form des Singer-Songwriters. Selbst in Großbritannien sprach man von dem zerzausten Musiker mit der kratzbürstigen Stimme und als Dylan im Dezember 1962 erstmals nach London flog, wurde er dort von Medien wie Publikum gleichermaßen als neuer Hoffnungsträger des Folk begrüßt. Für sein erstes großes Solokonzert in der Town Hall am 12. April 1963 erntete Dylan ausschließlich positive Kritiken („Dylan ist aus dem Stoff, aus dem Legenden sind“). Sein Mentor John Hammond verlor Dylans Karriere nicht aus den Augen und ermutigte ihn zu weiteren Studioaufnahmen für sein zweites Album The Freewheelin’ Bob Dylan, das am 27. Mai 1963 veröffentlicht wurde und den entscheidenden Durchbruch in seiner Karriere markierte. Es enthielt neben einfachen, aber umso eindringlicheren Liebesliedern vor allem sozialkritische Songs, die sich auf aktuelle politische Ereignisse bezogen. Das Album war kommerziell erfolgreich und fand vor allem in Großstädten und im studentischen Umfeld große Aufmerksamkeit. Auch renommierte Blätter wie The New Yorker oder das Time-Magazine feierten seinen Durchbruch als Songschreiber. Die Arm in Arm mit Dylan auf dem Cover der LP abgebildete Frau ist seine damalige Freundin Suze Rotolo. Insbesondere das Lied Blowin› in the Wind begründete Dylans Ruf als Songschreiber und politischer Folksänger. Dylan traf den Nerv der Zeit und das Lied wurde – wenn auch zunächst in der Interpretation von Peter, Paul and Mary – zur pazifistischen Hymne einer ganzen Generation. In dem wütend-eindringlichen Masters of War verfluchte Dylan den militärisch-industriellen Komplex. Das unter dem Eindruck der Kubakrise verfasste apokalyptische A Hard Rain’s A-Gonna Fall deutete bereits auf sein außergewöhnliches literarisches Talent hin und begründete seinen Ruf, ein Genie zu sein. Dylans begeisternder Auftritt beim Newport Folk Festival am 26. Juli 1963 galt als Höhepunkt der Veranstaltung und festigte seine Stellung als führender Folksänger. Hier spielte er auch einige Songs mit Joan Baez und die ganze Szene sprach offen vom „King und der Queen der Folkmusik.“
Seine Freundin Suze Rotolo gewann in der Zeit der ersten Erfolge einen kritischeren Blick auf Dylan:
„Der Erfolg [verwandelt] meinen Freund mehr und mehr in einen Egozentriker. […] Die Persönlichkeit verändert sich, sobald sie allen ein Begriff wird. Sie entwickeln eine unkontrollierbare Egomanie. […] Dies kann auch bescheidensten und demütigen Personen passieren […], es macht Klick und plötzlich kann diese Person nichts mehr wahrnehmen außer sich selbst. […] Jeden Tag wird es schlimmer.“
– Suze Rotolo
Nach Newport ging Dylan als Gastsänger von Joan Baez – die bereits zu jener Zeit so bekannt war, dass sie leicht größere Hallen füllen konnte – ab dem 3. August 1963 auf seine erste große Tournee durch die Vereinigten Staaten. Dylan sang auf diesen Konzerten, wo Baez ihn voller Begeisterung dem Publikum vorstellte, einige Duette und ging später auch eine Liebesbeziehung mit ihr ein. Doch erst nach der endgültigen Trennung von Suze Rotolo im März 1964 traten die beiden in der Öffentlichkeit als Paar auf. Für Dylan bedeutete diese Tour und die Verbindung mit Baez eine enorme Steigerung seiner Bekanntheit. Auch finanziell lohnte sich die Tour – Manager Grossman hatte für ihn eine größere Beteiligung an den Einnahmen als für Baez ausgehandelt, obwohl sie der Star der Tour war. Nicht zuletzt unter Baez› Einfluss ließ sich Dylan von der politischen Stimmung dieser Tage mitreißen und trat am 28. August 1963 bei der Abschlusskundgebung des Civil Rights March nach Washington auf, bei der Martin Luther King seine berühmte Rede I Have a Dream hielt. Die unter der Leitung von Tom Wilson in zwei Blöcken aufgenommene LP The Times They Are a-Changin’ knüpfte inhaltlich an den Vorgänger an und lieferte kraftvolle Beiträge zum Thema Rassendiskriminierung und mit With God on Our Side eine Paradenummer der Antikriegsbewegung. Unter dem Eindruck der sozialen Unruhen und dem Attentat auf John F. Kennedy radikalisierte sich das kritische Potenzial der amerikanischen Gesellschaft. Gerade für diese Kritiker lieferte Dylan engagierte Protestlieder und mit dem Titelsong schrieb er eine obligatorische Schlachthymne. Dylan untermauerte seinen Ruf als „Sprachrohr und Stimme einer ganzen Generation.“ Das Folkmagazin Sing Out! erhob ihn schließlich zum Propheten und setzte den erst 23 Jahre alten Dylan auf den Thron der Bürgerrechtsbewegung. Dylan selbst lehnte die ihm zugedachte Rolle des Idols ab und seine rasch wachsende Distanz zur Protestszene zeigte sich erstmals bei der Verleihung des Thomas Paine-Awards durch das National Emergency Civil Liberties Committee:
Sie reden von schwarz und weiß, sie reden von Hautfarben, von rot von blau und gelb, aber ich sehe das alles nicht. Sie reden von rechts und links, aber auch das kann ich nicht sehen. Ich sehe nur oben und unten, und unten ist da, wo der Fußboden ist. Ich pfeife auf Politik, mich interessiert der Mensch.
Bob Dylan, 13. Dezember 1963
Die Begeisterung vom Sound der Beatles und die endgültige Trennung von Rotolo beflügelten Dylans kreativen Prozess, alte Songschemata abzulösen und neue Wege des Liederschreibens zu entdecken. In einer einzigen Aufnahmesession spielte er am 9. Juni 1964 alle Songs für seine neue LP Another Side of Bob Dylan ein. Deren inhaltlicher Schwerpunkt lag auf dem Thema Beziehung und ließ klare Botschaften vermissen. Mit der LP schloss Dylan die künstlerische Lebensphase ab, die ihn an die Spitze der politisch engagierten Folkbewegung geführt hatte. Die Hinwendung zu poetischen Liedformen symbolisierte den kreativen Umbruch des Künstlers. Bei Teilen der Folkszene sorgte das Album für Befremden. So veröffentlichte Irwin Silber in Sing Out! einen offenen Brief an Dylan, in dem er seiner Sorge Ausdruck verlieh, der Sänger drohe durch die Begleitumstände von Ruhm und Erfolg den Kontakt zur Basis zu verlieren, was auch in seinen neuen Liedern zum Ausdruck komme.
1965–1966: Bob Dylan als Rockmusiker
Ab Mitte der 1960er Jahre ließ Dylan seine bis dahin fast ausschließlich solo und auf der akustischen Gitarre gespielte Musik elektrisch verstärken und hatte jetzt auch eine Begleitband. Ein Meilenstein dieses Wechsels war 1965 sein Auftritt beim Newport Folk Festival mit Musikern der Paul Butterfield Blues Band, der bei den puristischen Freunden der Folkmusik heftige Kritik auslöste. Ein Teil des Publikums reagierte mit Buhrufen auf die „elektrische“ Version von Maggie’s Farm. Auch hinter der Bühne spielten sich dramatische Szenen zwischen den Vertretern der klassischen Folktradition und der „elektrifizierten“ Musik ab. Nach drei Stücken ging Dylan mit der Band von der Bühne ab, wurde aber von Moderator Peter Yarrow zurückgebeten; er spielte dann noch zwei Stücke in gewohnter Manier solo mit Akustikgitarre und Mundharmonika. Diese Ereignisse werden in der 2005 erschienenen Dokumentation No Direction Home – Bob Dylan von Martin Scorsese aufgearbeitet, in der unter anderem seine Jugendliebe Suze Rotolo zu Wort kommt, die sich über ihre Beziehung zu Dylan lange nicht öffentlich äußerte.
Auch auf der anschließenden Europatournee, bei der er sich von den Musikern begleiten ließ, die später unter dem Namen The Band bekannt wurden, stieß seine elektrisch verstärkte Musik teils auf heftige Ablehnung, vor allem in England. 1966 wurde er bei einem Konzert für seinen vermeintlichen „Verrat“ an der Folkmusik gar als „Judas“ beschimpft (zu hören auf The Bootleg Series Vol. 4: Live 1966 (1998)). Während dieser Tournee wurde es beinahe zu einem Ritual, dass das Publikum Dylan und seine Band ausbuhte. Dylan selbst forderte bei dem besagten Konzert seine Band dazu auf, besonders laut zu spielen.
Dylan wurde zum Rockstar, der Millionen von Schallplatten verkaufte und von Teilen der sich zunehmend politisierenden Gegenkultur als Sprachrohr betrachtet wurde. Er litt nun jedoch zunehmend unter dem Erfolgsdruck. Viele seiner alten Fans nahmen ihm seine Hinwendung zur Rockmusik übel und reagierten geradezu feindselig. Andere versuchten, ihn für sich zu vereinnahmen. Die Presse begann einerseits, ihn auf die Rolle des Idols einer Generation festzulegen, andererseits des Verrats an den Idealen der Folkbewegung zu bezichtigen. Wenn Journalisten ihn auf Pressekonferenzen durch suggestive Fragen in die Enge zu treiben versuchten, gab Dylan meist schlagfertig und leicht arrogant wirkende, absurde Antworten und ließ sie ins Leere laufen. Gleichwohl war ihm die Anspannung aufgrund der Belastung durch das Tourneeleben und die Reaktion von Presse und Publikum deutlich anzumerken. Kurioserweise werden viele der spontanen Aussagen Dylans aus jener Zeit (etwa seine ironisch gemeinte Selbsteinschätzung als „Song and Dance Man“) bis heute angeführt.
Seinen Wandel vom Folksänger zum Rockmusiker vollzog er auf drei Alben, die er in kurzer Abfolge Mitte der 1960er Jahre veröffentlichte und die heute als Klassiker der Rockmusik gelten. Auf der zweiten Seite der LP Bringing It All Back Home befinden sich ausschließlich akustisch eingespielte Songs, die A-Seite der LP bestritt Dylan aber bereits mit einer Band. Die zwei folgenden Alben Highway 61 Revisited und die Doppel-LP Blonde on Blonde enthalten fast nur elektrisch verstärkte Rocksongs. Like a Rolling Stone von Highway 61 Revisited schaffte es 1965 auf Platz 2 der Billboard-Single-Charts. Das Lied wurde später von der Zeitschrift Rolling Stone zum „Greatest Song of All Time“ gekürt, und Greil Marcus schrieb 2005 ein Buch über dessen Entstehung.
Vor allem sprachlich erreichten seine Lieder auf diesen Platten eine bis dahin in der populären Musik unerreichte Komplexität. Seine Texte waren gespickt mit Metaphern und literarischen Verweisen, außerdem tauchten Anspielungen auf Drogenerfahrungen auf. Dylan war selbst drogenabhängig, er hat in den frühen 1960er Jahren Heroin konsumiert. Typisch für diese Periode waren auch ausufernde, surrealistisch anmutende Wortspielereien, die Dylan in der Art des Stream of Consciousness verfasste. Solches dominiert auch das 1965 geschriebene und erst 1971 erschienene Buch Tarantula sowie die längeren Texte und Prosagedichte, die er gelegentlich auf den Rückseiten seiner LP-Cover veröffentlichte. Die berühmtesten davon sind die Eleven Outlined Epitaphs von 1964, die in den 1980er Jahren in deutscher Übersetzung von Carl Weissner auch in Buchform erschienen. Dylan wurde damals stark von den Dichtern der Beat Generation wie Jack Kerouac beeinflusst, mit Allen Ginsberg verband ihn ein freundschaftliches Verhältnis.
Ende 1965 heiratete er das Fotomodell Sara Lowndes. Die Hochzeit wurde vor der Öffentlichkeit geheimgehalten. Lowndes brachte eine Tochter aus erster Ehe in die Verbindung mit. So wurde Dylan im Alter von 24 Jahren plötzlich Familienvater. Nun schirmte er sein Privatleben erst recht strikt vor der Öffentlichkeit ab. Einer der bekanntesten der zahlreichen Songs, die er von seiner Beziehung zu Sara inspiriert schrieb, ist Sad-Eyed Lady of the Lowlands, der auf der Doppel-LP Blonde on Blonde eine der vier Plattenseiten einnimmt. Dies bekannte er nach der Trennung von seiner Frau 1975 quasi öffentlich mit dem Song Sara auf dem Album Desire. Dylan war und ist auch ansonsten äußerst zurückhaltend mit Angaben zu möglichen Adressaten seiner Lieder und Interpretationen der Inhalte seiner Texte.
Motorradunfall 1966
Am 29. Juli 1966 stürzte Dylan mit seiner Triumph Tiger auf einer Landstraße in der Nähe seines Wohnortes Woodstock und zog sich schwere, wenn auch nicht unmittelbar lebensbedrohliche Verletzungen zu. Neben mehreren leichten Kopfverletzungen waren mehrere Halswirbel gebrochen. In der Presse überschlugen sich die Gerüchte: Bob Dylan sei verunglückt und habe ein Ende wie James Dean gefunden. Der schillernde Rockstar habe einen schweren Motorradunfall erlitten, er sei tot, sein Gehirn zermahlen; andere berichteten, er vegetiere nur noch vor sich hin, sei wegen seiner Drogensucht ein psychiatrisch unheilbarer Fall oder so stark entstellt, dass er sich nie mehr in der Öffentlichkeit zeigen könne. Wieder andere Stimmen glaubten zu wissen, dass Dylan einem Anschlagskomplott der CIA zum Opfer gefallen sei. Die Heilung verlief schleppend, da er sich wegen seines aufreibenden Lebensstils und seines Drogenkonsums in ohnehin schlechtem Gesundheitszustand befand. Dylan zog sich zur vollständigen Rekonvaleszenz für über ein halbes Jahr von der Öffentlichkeit nach Woodstock zurück und empfing nur wenige Vertraute wie D. A. Pennebaker oder Allen Ginsberg. Der Unfall, der ihn fast das Leben kostete, ermöglichte Dylan die Flucht aus dem Star-Dasein und die radikale Abkehr von einem Lebensstil, der bei ihm von einem
übervollen und kräftezehrenden Terminkalender und seiner damals außerordentlichen künstlerischen Produktivität diktiert, nahezu eine komplette gesundheitliche und mentale Erschöpfung hervorgerufen hatte. Dylan bot sich das Alibi, sämtliche Brücken zur Öffentlichkeit abzubrechen und sein Leben völlig neu zu überdenken.
Ich hatte einen Motorradunfall gehabt und mich verletzt, aber ich erholte mich. In Wahrheit wollte ich der Tretmühle den Rücken kehren.
Bob Dylan, Chronicles
1966–1973: Rückzug ins Privatleben
Nach dem Motorradunfall zog sich Dylan für zwei Jahre fast völlig aus der Öffentlichkeit zurück, wenngleich sich sein Ruhm gerade in der Zeit seiner Abstinenz ins fast Unermessliche steigerte. Informationen über ihn und seine Arbeit flossen außerordentlich spärlich. Er lebte nun in Woodstock, einer Künstlerkolonie unweit von New York, und widmete sich vornehmlich seiner Frau Sara und den gemeinsamen Kindern. Im ersten Teil seiner Autobiografie Chronicles sagt er, dass er sich damals ein einfaches Leben mit einem Job von 9 bis 17 Uhr wünschte. Erst am 6. Mai 1967 gab Dylan wieder ein Interview für die Daily News und ließ seine Pläne vollkommen offen und gab sogar Gerüchten über einen endgültigen Rückzug vom Musikgeschäft reichlich Nahrung. Doch im Sommer 1967 schienen sich die Vorzeichen in Dylans Leben wieder zu ändern, da er seinen Plattenvertrag mit Columbia verlängerte und wieder intensiv zu musizieren begann. Zusammen mit den Musikern seiner Begleitband, die sich inzwischen The Band nannten, nahm er in lockeren Sessions im Keller des angemieteten Bauernhauses Big Pink ein Sammelsurium teils fast vergessener Songs der US-amerikanischen Rootsmusik (Blues, Folk und Country) auf. Diese kursierten jahrelang als Bootlegs und erlangten Kultstatus, bevor sie 1975 offiziell und stark gekürzt unter dem Titel The Basement Tapes veröffentlicht wurden. Häufig werden die Lieder jener Zeit als Dylans Bekenntnis zu den Freuden des einfachen Lebens als Familienvater gedeutet, wohingegen viele seiner alten Fans ihm dafür erneut Verrat an den Idealen der Gegenkultur vorwarfen. Die Sessions brachten Dylan wieder zurück in den Musikbetrieb und nach einem Treffen mit Bob Johnston begann er mit dem Schreiben neuer Songs. Beeinflusst von den Basement Tapes und tief berührt vom Tod Woody Guthries wandte sich Dylan sehr einfachen Songstrukturen und Liedinhalten zu, die am 27. Dezember 1967 auf dem Album John Wesley Harding erschienen.
In den folgenden Jahren trat Dylan nur vereinzelt auf und stand beim Woody-Guthrie-Memorial-Concert am 20. Januar 1968 erstmals wieder auf der Bühne und steuerte vier Songs seines Idols bei.
1969 folgte ein Auftritt als Begleitmusiker von The Band und während Dylan beim legendären Woodstock-Festival nicht auftreten wollte, war er am 31. August Headliner des Isle of Wight Festivals. Dylan unterstützte den früheren Beatles-Gitarristen George Harrison bei dessen Konzert für Bangladesch indem er am 1. August 1971 im Madison Square Garden spielte.
Bei dem für seine Verhältnisse sehr gefälligen Nashville Skyline, arbeitete er auch mit dem Country-Musiker Johnny Cash zusammen. Die LP wurde zu Dylans bis dahin größtem kommerziellen Erfolg. Dylan bereitete so der Akzeptanz der bislang als reaktionär verpönten Country-Musik im Rocklager den Boden und wurde – neben Buffalo Springfield / Neil Young, den Byrds und Gram Parsons – zu einem Wegbereiter des Country-Rock.
Im Jahr 1969 wurde sein Sohn Jakob geboren, der mittlerweile selbst als Musiker arbeitet. Dylan hat außer ihm fünf weitere Kinder: Anna, Desiree Gabrielle, Jesse, Maria und Samuel. Sein Doppelalbum Self Portrait aus dem Jahr 1970 erschien vielen Fans als eine lieblose Sammlung uninspirierter Songs und gilt als eine seiner schlechtesten Platten. Dylan selbst bezeichnete die Veröffentlichung später als den Versuch eines Befreiungsschlags, mit dem er die von ihm als bedrückend empfundene Erwartungshaltung seines Publikums zerstören wollte. Danach veröffentlichte er zwei als respektabel, aber nicht herausragend angesehene Alben (New Morning und Planet Waves) und spielte eine kleine Rolle in Sam Peckinpahs Western Pat Garrett jagt Billy the Kid an der Seite von Kris Kristofferson und James Coburn. Er schrieb zudem die Musik zu diesem Film, darunter das ebenso hymnische wie desillusionierte Knockin’ on Heaven’s Door.
1974–1982: Scheidung und Hinwendung zum Christentum
Mitte der 1970er Jahre begann Dylans private Idylle zu bröckeln, als seine Ehe in eine Krise geriet. Eine spektakuläre Comebacktournee (dokumentiert auf dem Doppelalbum Before the Flood) Anfang 1974 war zwar binnen weniger Stunden ausverkauft und ein großer Publikumserfolg, die Kritiken fielen jedoch eher zwiespältig aus. Kritisiert wurde vor allem, dass er kaum neue Songs bringe und mehr „schreie als singe“. Auffallend war, dass er viele bekannte Lieder in völlig neuem musikalischen Gewand darbot und diese damit zwar einerseits revitalisierte, andererseits aber oft bis zur Unkenntlichkeit veränderte. Diese Herangehensweise an das eigene Werk hat Dylan bis heute beibehalten und sie ist zu einem Markenzeichen geworden. 1975 veröffentlichte Dylan Blood on the Tracks. Das Album wird seither als Dylans künstlerische Verarbeitung der Trennung von seiner Frau Sara interpretiert. Bob Dylan selbst hat jedoch immer wieder einen direkten Zusammenhang bestritten.
1975/76 startete er das Projekt der Rolling Thunder Revue, eine Art musikalischen fahrenden Zirkus mit zahlreichen Musikern, der oft nur kurzfristig angekündigt an verschiedenen Orten der USA Station machte. Dylans Auftritte während des ersten Teils dieser Tournee werden heute zu den besten seiner Karriere gezählt. Auf der Platte Desire, auf der Songs aus dieser Zeit veröffentlicht wurden, sang Dylan auch im Duett mit Emmylou Harris. Sie war ein großer kommerzieller und künstlerischer Erfolg und brachte Dylan auf einen zweiten Zenit seiner Popularität. Besonders bekannt wurde der Song Hurricane über den Boxer Rubin Carter, dessen Karriere durch ein möglicherweise rassistisch motiviertes juristisches Fehlurteil beendet worden war. Mit dem wehmütigen Lied Sara setzte er seiner ehemaligen Frau ein Denkmal. Der vierstündige Kinofilm Renaldo & Clara, der die Tour dokumentierte und bei dem Dylan selbst Regie führte, wurde jedoch von der Kritik verrissen und brachte wenig ein. 1977 nahm er Hintergrundgesang für ein Stück von Leonard Cohens Album Death of a Ladies’ Man auf. Noch im selben Jahr wurden Bob und Sara Dylan geschieden.
Dylans Welttournee im Jahr 1978 (unter anderem mit einem Auftritt am 1. Juli vor etwa 75.000 Menschen auf dem Zeppelinfeld, dem ehemaligen Reichsparteitagsgelände in Nürnberg) war sehr erfolgreich. Jedoch stieß er im Winter 1978/79 an die Grenzen seiner psychischen Kräfte. Dylans Freundin Mary Alice Artes, eine afroamerikanische Schauspielerin, riet ihm, Seelsorge in Anspruch zu nehmen und verwies ihn in diesem Zusammenhang an zwei Pastoren, die ihr persönlich bekannt waren. Dylan ließ sich darauf ein, besuchte einen dreimonatigen Bibelkurs der damals noch jungen Vineyard-Bewegung und empfing Anfang 1979 die Taufe. Dylans Konversion zum Christentum, vor allem sein Bekenntnis, ein wiedergeborener Christ zu sein, erregten Aufsehen. Künstlerischer Ausdruck seiner Konversion waren die folgenden zwischen 1979 und 1981 veröffentlichten drei Alben: Slow Train Coming, Saved und Shot of Love.
Diese erneute Wendung in Dylans Musik konnte ein Großteil seines Publikums nicht nachvollziehen. Er war teilweise harscher Kritik ausgesetzt, obwohl er für den Song Gotta Serve Somebody seinen ersten Grammy erhielt. Die Lyrik des von „göttlicher Offenbarung“ durchdrungenen Liedes Every Grain of Sand gilt zudem als einer seiner inspiriertesten Texte. Mit der Zeit flaute die Kontroverse um seine christliche Phase ab, zumal sich ab 1981 mit dem Lied Lenny Bruce (eine Hommage an den 1966 verstorbenen subversiven Komiker) wieder eine Rückkehr zu weltlichen Themen andeutete.
1983–1993: Krise
Die 1980er Jahre waren durch viele unterschiedliche Alben gekennzeichnet, deren Stil (Musik und Text) bei Kritik und Publikum großteils verhaltene Resonanz auslöste. Während Infidels (1983) und Empire Burlesque (1985) noch einige hervorragende Songs enthalten, erreichte er mit Knocked Out Loaded (1986) und Down in the Groove (1988) einen künstlerischen Tiefpunkt. Die Musikzeitschrift Rolling Stone wählte Down in the Groove im Mai 2007 zum „schlechtesten Album eines bedeutenden Künstlers“. Am 28. Januar 1985 nahm Dylan an den Aufnahmen zu We are the World teil und sang die Zeile “there’s a choice we’re making”. In der zweiten Hälfte der Dekade hatte er mit einem Alkoholproblem zu kämpfen. Die Auftritte jener Zeit verliefen zum Teil entsprechend chaotisch. Beim Live-Aid-Konzert am 13. Juli 1985 zugunsten der hungernden Bevölkerung Äthiopiens fiel er mit der Bemerkung auf, er hoffe, ein Teil des Geldes würde für die leidenden US-amerikanischen Farmer verwendet. („I hope that some of the money…maybe they can just take a little bit of it, maybe…one or two million, maybe…and use it, say, to pay the mortgages on some of the farms and, the farmers here, owe to the banks…“.) Diese Aussage wurde zwar angesichts der hungernden Bevölkerung Äthiopiens von vielen als unangemessen betrachtet und teils heftig kritisiert, führte schließlich aber dazu, dass ein Benefiz-Konzert Farm Aid organisiert wurde, das erstmals am 22. September 1985 in Champaign, Illinois, stattfand.
Am 4. Juni 1986 heiratete Dylan Carolyn Dennis, eine seiner vielen Background-Sängerinnen, mit denen er damals zusammen war. Eine gemeinsame Tochter war am 31. Januar 1986 zur Welt gekommen. Hochzeit wie Geburt wurden jedoch vor Bekannten und vor der Öffentlichkeit geheimgehalten, nur einige enge Freunde des Paares wussten davon. Erst 2001 machte Howard Sounes diese privaten Ereignisse in einer Biographie publik. Die Ehe war bereits Anfang der 1990er Jahre geschieden worden. Am 17. September 1987 gab Dylan zusammen mit Roger McGuinn und Tom Petty & the Heartbreakers ein Konzert in Ost-Berlin im Treptower Park vor 70.000 Besuchern, nachdem der Kartenvorverkauf zu einem eigentlich für diesen Tag in der West-Berliner Waldbühne geplant gewesenen Konzert sehr schleppend angelaufen war.
Ab 1988 wirkte er neben Roy Orbison, Tom Petty und Jeff Lynne maßgeblich in der von George Harrison ins Leben gerufenen Gruppe Traveling Wilburys mit. Die Gruppe, die von 1988 bis 1990 Bestand hatte, produzierte zwei Studioalben. Seit 1988 befindet sich Dylan auf der inoffiziell so bezeichneten „Never Ending Tour“, die ihn schon mehrmals um den Erdball führte. Dabei gibt er im Schnitt über 100 Konzerte pro Jahr. Während Dylan in den ersten Jahren dieser Tour manche Stücke mit zumeist skurrilen Kommentaren einleitete, spricht er dabei, mit Ausnahme der Vorstellung der Bandmitglieder, oft so gut wie kein Wort und beschränkt sich allein auf das Singen und Musizieren. Gelegentlich findet er jedoch Gefallen daran, einen Witz einzustreuen. Fast jedes Dylan-Konzert der vergangenen Jahrzehnte (inzwischen sind es etwa 4000) wurde als sogenanntes Bootleg illegal mitgeschnitten. Die Mitschnitte werden in Fankreisen unter „Tape Tradern“ kostenlos getauscht.
1988 wurde Bob Dylan in die Rock and Roll Hall of Fame aufgenommen. Sein Laudator war Bruce Springsteen, der zu Beginn seiner Karriere als „neuer Dylan“ bezeichnet worden war. 1989 gelang Dylan mit dem von Daniel Lanois in New Orleans produzierten Album Oh Mercy die Rückkehr zu alter Form, der Nachfolger Under the Red Sky (1990) war jedoch erneut eine Enttäuschung. 1991 wurde ihm ein weiterer Grammy für sein Lebenswerk verliehen. In der ersten Hälfte der 1990er Jahre veröffentlichte er keine neuen Kompositionen. 1992 und 1993 erschienen zwei Alben (Good As I Been to You, World Gone Wrong) mit Aufnahmen traditioneller Folk- und Bluessongs, die er solo, nur begleitet von Gitarre und Mundharmonika, einspielte.
1994–heute: Rückkehr
Am 14. August 1994 trat Dylan auf dem Woodstock-II-Festival auf, einer Neuauflage des legendären Festivals von 1969. Sein Auftritt wurde zur Überraschung vieler Beobachter von dem überwiegend jugendlichen Publikum euphorisch aufgenommen. Im November 1994 nahm er ein Live-Album mit DVD für die MTV-Unplugged-Reihe auf. Ursprünglich wollte er darauf alte Country- und Blues-Stücke spielen, die Produzenten wollten aber stattdessen einige seiner größten Hits. Dylan gab nach, und das Album wurde eines seiner finanziell erfolgreichsten und erreichte Platz 23 der US-amerikanischen Album-Charts. Der Verlag Random House veröffentlichte im selben Jahr unter dem Titel Drawn Blank (siehe unten) einen Bildband mit Zeichnungen von Dylan, die er zwischen 1989 und 1992 angefertigt hatte. Sie zeigen seine Eindrücke vom Tourleben – Straßen, Hotelzimmer und Diners. Im Vorwort erwähnt er, dass das Zeichnen für ihn eine Möglichkeit sei, dem Alltagsleben zu entfliehen und zu entspannen.
1996 stimmte er der Verwendung seines Liedes The Times They Are a-Changin’ in Werbespots der Bank of Montreal und der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Coopers & Lybrand zu. 2004 stellte er für einen Werbespot von Victoria’s Secret nicht nur sein Lied Love Sick zur Verfügung, sondern trat auch als Akteur auf. 1997 veröffentlichte Dylan nach sieben Jahren erstmals wieder neue eigene Songs. Mit dem abermals von Daniel Lanois produzierten düsteren Album Time Out of Mind schaffte er ein Comeback. Für die Platte wurde er gleich mit drei Grammys ausgezeichnet, unter anderem für den Song Cold Irons Bound. Mit dem Song Things Have Changed für den Film Die WonderBoys gewann er im Jahr 2001 den Golden Globe Award und den Oscar für den besten Filmsong. 2000 erhielt er außerdem den inoffiziellen „Nobelpreis für Musik“, den Polar Music Prize.
1997 gab Dylan ein Konzert, bei dem Johannes Paul II. und Kardinal Ratzinger, der spätere Benedikt XVI., anwesend waren. Es fand während eines Internationalen Eucharistischen Kongresses in Bologna statt und wurde von 300.000 Menschen besucht. Dylan gab zu diesem Anlass Knockin’ on Heaven’s Door und seinen Anti-Kriegs-Klassiker A Hard Rain’s A-Gonna Fall sowie als Zugabe Forever Young zum Besten. 1998 ging er mit seinen Musikerkollegen Van Morrison und Joni Mitchell auf Tournee. Ein Jahr später begleitete ihn Paul Simon auf einer erfolgreichen US-Tournee, bei der jeder einen größeren eigenen Teil vortrug und vier Lieder gemeinsam gesungen wurden.
Am 11. September 2001 erschien “Love and Theft”, eine von Publikum und Kritik begeistert aufgenommene Platte. Auf dem Album unternimmt Dylan eine Reise zu den Wurzeln der amerikanischen Musik. 2003 erschien der Spielfilm Masked and Anonymous, für den er zusammen mit Larry Charles das Drehbuch schrieb und in dem er die Hauptrolle übernahm. Für die Rollenbesetzung konnten zahlreiche Hollywoodstars gewonnen werden. Im Oktober 2004 erschien der erste Teil seiner auf drei Teile angelegten Autobiografie Chronicles: Volume One (Simon & Schuster) in Deutschland unter demselben Titel, übersetzt von Gerhard Henschel und Kathrin Passig. Gleichzeitig wurden seine Texte bis zum Album “Love and Theft” unter dem Titel Lyrics 1962–2001 veröffentlicht, in Deutschland in der – nach Vorgabe von Dylans Management wortgetreuen – Übersetzung von Gisbert Haefs (Hoffmann und Campe, 2004). Zur Vermarktung des Buches gab er im Dezember 2004 sein erstes Fernsehinterview seit 19 Jahren.
Am 26. und 27. September 2005 wurde vom amerikanischen Sender PBS der Film No Direction Home – Bob Dylan im Zuge der Serie American Masters ausgestrahlt. Die Dokumentation über die Jahre 1959 bis 1966 wurde von Starregisseur Martin Scorsese produziert. Für den Film wurden hunderte Stunden unveröffentlichten Materials gesichtet und ein Interview mit Dylan geführt. Der im August 2005 erschienene Soundtrack zur Dokumentation ist gleichzeitig der siebte Teil der „Bootleg Series“. Von Mai 2006 bis April 2009 moderierte Dylan beim amerikanischen Radiosender XM Satellite Radio die wöchentlich gesendete einstündige Sendung Theme Time Radio Hour, die sich jeweils einem bestimmten Thema widmet. Er selbst wählte dafür die Musik aus, die überwiegend Lob erntete und ein Publikum erreichte, das weit über den Kreis der Dylan-Fans hinausging.
Im August 2006 erschien Dylans 32. Studioalbum Modern Times, das weltweit überwiegend auf sehr positives Echo stieß und mit dem er das erste Mal seit Desire (1976) wieder an die Spitze der US-Charts gelangte. Die Rückkehr auf Platz eins der US-Hitparade nach drei Jahrzehnten war bis dahin noch keinem lebenden Musiker gelungen. Ende Juni 2007 kündigte Dylan an, ein endgültiges Best-of-Album mit dem Titel Dylan zu veröffentlichen. Das Album kam am 1. Oktober 2007 weltweit in den Handel und erschien in zwei Versionen: Eine Ausgabe enthält 18 der erfolgreichsten Dylan-Songs, die „Highlight Deluxe Edition“ umfasst 51 Tracks auf 3 CDs. Am 24. April 2009 erschien ein Studioalbum mit dem Titel Together Through Life. Am 13. Oktober 2009 wurde ein weiteres Studioalbum veröffentlicht mit dem Titel Christmas in the Heart, das Weihnachtsklassiker wie Little Drummer Boy oder Winter Wonderland enthält. Der Erlös aus dem Verkauf der CD ging als Spende an das Welternährungsprogramm und die Organisation Crisis UK. Diese verteilen in der Weihnachtswoche rund 15.000 Mahlzeiten an Obdachlose. Am 7. September 2012 erschien ein weiteres Studioalbum mit dem Titel Tempest. Im Sommer 2011 kam Dylan für einige Auftritte nach Europa, ebenso wie in den meisten der folgenden Jahre, zuletzt im Sommer 2019.
Im Februar 2015 veröffentlichte er sein 36. Studioalbum Shadows in the Night – ein Konzeptalbum mit Neuinterpretationen bekannter Sinatra-Stücke aus den 1950ern. 2016 und 2017 folgten mit Fallen Angels (2016) und Triplicate (2017) weitere Studioalben. Im Unterschied zu bisherigen Studioveröffentlichungen fokussierten die drei letztgenannten Alben fast ausschließlich auf Stücke aus dem Great American Songbook beziehungsweise von Frank Sinatra. Dylans Hinwendung zu der amerikanischen Unterhaltungsmusik vor Entstehung des Rock ’n’ Roll wurde teils zustimmend, teils jedoch auch skeptisch bewertet. Maik Brüggemeyer etwa schrieb, dass die Hinwendung zu der Vor-Rock’n’Roll-Ikone Sinatra auf viele seiner Fans befremdlich wirken müsse. Offensichtlich jedoch meine Dylan es ernst. Gesanglich habe er sich in der Zwischenzeit ebenfalls ganz auf dieses Repertoire eingestellt und zelebriere zwischenzeitlich auch seine Konzerte im Crooner-Stil.
Anfang März 2016 wurde bekannt, dass Dylan sein privates Archiv als Vorlass für 15 bis 20 Millionen Dollar an die Universität von Tulsa verkauft hat. Das Archiv umfasst etwa 6.000 Objekte, darunter Gedichte, Briefe, Aufnahmen, Filme und Fotografien.
Im März 2020 veröffentlichte Dylan auf seinem YouTube-Kanal Murder Most Foul. Das über 16 Minuten lange Lied hat das Attentat auf John F. Kennedy und die Verletzungen zum Thema, die es im amerikanischen Selbstbewusstsein auslöste. Der Titel ist ein Zitat aus Shakespeares Hamlet (1. Akt, 5. Szene). Von vorsichtigen Klavier- und Geigenklängen begleitet, bekennt sich Dylan zu der einschlägigen Verschwörungstheorie und zeichnet mit zahlreichen Zitaten und Namensnennungen ein Bild der amerikanischen Popkultur. Im April desselben Jahres folgte das Lied I Contain Multitudes, dessen Titel dem Gedicht Song of Myself von Walt Whitman entlehnt ist. Am 19. Juni 2020 wurde schließlich das Album Rough and Rowdy Ways veröffentlicht, mit dem Dylan zum ersten Mal Platz eins der deutschen Media Control Charts erreichte. Außerdem belegte er damit den ersten Platz der Verkaufscharts in Großbritannien, sein neuntes Nummer-eins-Album in dem europäischen Inselstaat.
Im Dezember 2020 veräußerte Bob Dylan die Verlagsrechte an seinem aus über 600 Titeln bestehenden Werk an die Universal Music Group. Über den Kaufpreis machte das Unternehmen keine Angaben. Die New York Times, die den Deal als „may be the biggest acquisition ever of a single act’s publishing rights“ bezeichnete, schätzte den Betrag auf mehr als 300 Millionen Dollar. Vor dem Verkauf gehörte Dylan zu den wenigen Künstlern, die die Verlagsrechte für ihre Musik noch selbst kontrollierten.
Einfluss auf die Popkultur
Dylan hat wie kaum ein anderer Musiker die Entwicklung der Popmusik seit den 1960er Jahren beeinflusst. Er schöpft aus dem riesigen Fundus traditioneller, populärer amerikanischer Musik von Folk über Country bis zu Gospel, Blues und Rock ’n’ Roll. Das Erbe des sogenannten Americana bildet über seine gesamte Karriere den Nährboden seines Werks. Obgleich er sich diese Idiome teilweise erst im Laufe seiner Karriere angeeignet hat, ist es ihm immer wieder gelungen, sie entscheidend zu transformieren und zu erweitern. Eines seiner größten Verdienste ist, dass er mit einer starken Hinwendung auf die Texte seiner Lieder der modernen Rockmusik eine neue sprachliche Komplexität gegeben hat.
War die Rockmusik vor ihm vor allem durch triviale Liebeslieder geprägt (ein Sammler und Freund von Dylans Werken beschrieb diese Phase einmal als „Liebe und Triebe“), so wurde sie mit Dylan nicht nur, angelehnt an die sozialkritische Tradition der Folkmusik, politisch, sondern auch zu einem Medium ernst zu nehmender Poesie. Dylan etablierte den Popsong als ein Medium, mit dem individuelle Erfahrungen verarbeitet und mitgeteilt werden können. Einige von Dylans Texten gelten als Werke von höchstem literarischem Rang und waren Gegenstand intellektueller Diskussionen (beispielsweise Desolation Row, Like a Rolling Stone und Hurricane). Dylan hat damit einen bedeutenden Beitrag dazu geleistet, die populäre Rockmusik als ernsthafte Kunstform zu etablieren.
Seit 1996 wurde Dylan immer wieder als Anwärter auf den Literatur-Nobelpreis gesehen. Eine von den Schriftstellern John Bauldie und Allen Ginsberg geleitete Kampagne führte 1996 zu seiner ersten Nominierung. Unterstützt wurde sie auch von dem Literaturprofessor Gordon Ball, der Dylans Texte in ihrem „außergewöhnlich einfallsreichen Symbolismus“ mit Arthur Rimbaud und William Butler Yeats vergleicht. Für andere erweckt Dylans dunkle und assoziationsreiche Lyrik „immer wieder den Eindruck, als wisse er mehr, als könne er tiefer dringen und Antworten geben.“ Geschmälert wurden Dylans Chancen indes dadurch, dass seine Songs nur im weiteren Sinne als Literatur klassifiziert werden können, da sie erst durch die musikalische Darbietung ihre Wirkung ganz entfalten.
Dylans Hinwendung zu komplexen Texten und einer individuellen Spielweise der Rockmusik Mitte der 1960er Jahre fanden etwa zeitgleich mit nicht minder bedeutenden Innovationen anderer Popmusiker statt. In Großbritannien nahmen The Beatles mit Rubber Soul und Revolver zwei Alben auf, die sich sowohl musikalisch als auch textlich deutlich von dem bis dahin üblichen Niveau der gängigen Popmusik abhoben. In den USA experimentierten The Velvet Underground mit neuen musikalischen Formen und verarbeiteten literarische Themen in ihren Texten. Selbst Brian Wilson von den Beach Boys – also ein Musiker, der bis dahin eigentlich auf naive Popsongs abonniert war – veröffentlichte gegen den Widerstand seiner Plattenfirma das Album Pet Sounds, das in seiner musikalischen Komplexität vieles der damals üblichen seichten Popmusik in den Schatten stellte und ungewöhnlich melancholische und nachdenkliche Töne anschlug. Mit Dylan und diesen anderen, ebenfalls herausragenden Künstlern erhielt die sich formierende und immer selbstbewusster artikulierende Gegenkultur auch eine künstlerische Stimme.
Dylan verwirklichte seine sich immer wieder wandelnden musikalischen und textlichen Vorstellungen (von idealistischen, explizit politischen Folksongs über surrealistische Rocknummern und sentimentalen Country-Songs bis zu gospeligen Predigten in Liedform) zwar mit Unterstützung seiner Plattenfirma, aber teilweise gegen einen erbitterten Widerstand seiner angestammten Fangemeinde. Dies verdeutlicht, wie sehr Dylan zu der Rolle des populären Rockmusikers als autonomer Künstler beigetragen hat. Immer wieder betonte er, wie wichtig traditionelle Folksongs für seine Entwicklung waren und sind. Oft zog er seine Inspiration aus Liedern aus der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg, die längst aus dem öffentlichen Bewusstsein verschwunden waren. Die dort verarbeiteten Mythen und Legenden der amerikanischen Kultur bilden einen Grundpfeiler seines Schaffens als Songwriter.
Deutlich erkennbar wurde dies bereits auf seiner ersten LP, auf der er größtenteils Traditionals spielte. Aber auch später trat dies immer wieder offen zu Tage, so auf The Basement Tapes und den beiden Anfang der 1990er Jahre veröffentlichten Soloalben sowie auf seinem Album “Love and Theft” von 2001. Das dort enthaltene Stück High Water (For Charlie Patton) bezog sich explizit auf Charley Pattons Bluessong High Water Everywhere aus dem Jahr 1929, der von der desaströsen und folgenschweren Mississippiflut 1927 erzählt. So wie es in diesen alten Liedern der amerikanischen Folklore durchaus üblich war, in den Texten reale Ereignisse zu thematisieren, so greift auch Dylan solche Themen in seinen Songs auf. Dies waren besonders in seiner frühen Karriere sozialkritische Themen, später zunehmend auch persönliche Erfahrungen.
Dylan hatte nie eine dem klassischen Schönheitsideal genügende, ausgebildete Singstimme. Seine Qualitäten als Sänger sind umstritten: Einige Kritiker schätzen seine ausdrucksstarke, absichtlich „unschöne“ Art zu singen, die ungewöhnliche Phrasierung voller rhythmischer Verschiebungen, seinen unverwechselbar selbstbewusst meckernden Sound; andere wiederum stört, dass Dylan (ursprünglich wohl, um die traditionellen Blues- und Folksongs der ersten Platten glaubwürdiger klingen zu lassen) mit einer künstlich aufgerauten, sozusagen verstellten Stimme singe. Das Magazin Time schrieb in den 1960er Jahren, seine Stimme klinge, „als käme sie über die Mauern eines Tuberkulose-Sanatoriums“. Dies änderte sich vorübergehend während seiner Country-Phase um 1970, als er beinahe glatt klang – nicht zuletzt deshalb, weil er vorübergehend das Rauchen aufgegeben hatte. Über die Jahre ist seine Stimme allerdings deutlich gealtert, so dass sie inzwischen einen geradezu krächzenden Klang hat, der ihr aber auch Charakter verleiht.
Seine Songs sind von zahlreichen Musikern aufgenommen worden. Hierzu gehören Joan Baez, Eric Clapton, The Byrds, Rod Stewart, Van Morrison, Joe Cocker, Johnny Cash, Jimi Hendrix, Bryan Ferry (der 2007 ein Album ausschließlich mit Dylan-Liedern mit dem Titel Dylanesque herausbrachte) und Elvis Presley. Zahlreiche Lieder Dylans sind erst durch die Aufnahmen anderer Musiker populär geworden, was auch an seiner wenig massenkompatiblen Stimme liegen mag, so beispielsweise It’s All Over Now, Baby Blue in der Fassung von Them, Mr. Tambourine Man von den Byrds, Blowin’ In The Wind von den Hollies, All Along the Watchtower in der Version von Jimi Hendrix, Mighty Quinn und Father Of Night in den Interpretationen von Manfred Mann sowie Knockin’ on Heaven’s Door von Guns n’ Roses.
Auf viele Musiker hat Dylan einen prägenden Einfluss gehabt, unter anderem auf Van Morrison, The Beatles, Steely Dan, Bruce Springsteen, Jimi Hendrix und Nick Cave. Er prägte auch deutsche Musiker wie etwa Wolfgang Niedecken (Leopardefell) und den österreichischen Liedermacher Wolfgang Ambros (Wie im Schlaf), die beide jeweils ein komplettes Album mit ins Deutsche, bzw. genauer gesagt, in deutsche Dialekte (Kölsch und Wienerisch) übertragenen frühen Dylan-Songs veröffentlichten. Darüber hinaus zählte auch Falco, dessen Sarg zu den Klängen von It’s All Over Now, Baby Blue in die Erde gelassen wurde, Dylan zu seinen Vorbildern.
Das Nachrichtenmagazin Newsweek fand für Dylans Bedeutung die Formulierung: „Er bedeutet für die Popmusik das gleiche wie Einstein für die Physik“. In der vom US-Musikmagazin Rolling Stone veröffentlichten Liste der 500 besten Alben aller Zeiten ist Dylan mit zehn Alben vertreten (davon zwei in den Top 10), er liegt damit nur knapp hinter den Beatles mit elf Alben.
Ehrungen
Dylan ist Träger zweier Ehrendoktortitel. Den ersten erhielt er 1970 von der Universität Princeton, den zweiten verlieh ihm am 23. Juni 2004 die schottische University of St Andrews, die ihn als „Ikone des 20. Jahrhunderts“ betitelte, dessen Lieder seine Zeit prägten, so wie auch die Zeit seine Lieder prägte. Bob Dylans Lyrik sei in den Anfängen von politischem Dialog durch Musik nicht mehr wegzudenken.
2001 gewann Dylan mit Things Have Changed aus dem Film Wonder Boys sowohl den Oscar als auch den Golden Globe Award für den besten Filmsong.
Am 8. April 2008 wurde die Verleihung des Pulitzer-Sonderpreises an Bob Dylan bekanntgegeben. Er erhielt den Preis für seinen besonderen Einfluss auf die Popkultur und seine „lyrischen Kompositionen“.
US-Präsident Barack Obama verlieh ihm 2009 in Abwesenheit die National Medal of Arts. Live 1966 (The Royal Albert Hall Concert) wurde in The Wire’s „100 Records That Set the World on Fire (While No One Was Listening)“ aufgenommen. 2011 wurde er in die American Academy of Arts and Sciences gewählt.
2012 wurde Dylan mit der Presidential Medal of Freedom ausgezeichnet. 2013 wurde er in die American Academy of Arts and Letters aufgenommen, allerdings nur als Ehrenmitglied auf Lebenszeit, da sich die Akademie nicht einigen konnte, ob er mehr zu den Musikern oder eher zu den Literaten zu zählen sei.
Am 25. Mai 2013 nahm ihn die Frühjahrs-Mitgliederversammlung der Akademie der Künste Berlin als neues Mitglied in die Sektion Film- und Medienkunst auf.
Im November 2013 erhielt Dylan den französischen Orden der Ehrenlegion trotz der Ablehnung des Großkanzlers des Ordens, Jean-Louis Georgelin. Bei der Verleihung lobte Kulturministerin Aurélie Filippetti den Sänger als einzigartige Verkörperung der „subversiven Kraft der Kultur, die die Menschen und die Welt verändern kann“.
Die Schwedische Akademie gab am 13. Oktober 2016 ihre Entscheidung bekannt, Bob Dylan als erstem Singer-Songwriter und Dichter den Nobelpreis für Literatur „für seine poetischen Neuschöpfungen in der großen amerikanischen Songtradition“ zu verleihen. Auch eine Woche nach Bekanntgabe der Auszeichnung gelang es der Nobelpreisakademie nicht, mit Bob Dylan in Kontakt zu treten. Zwei Wochen nach Bekanntgabe der Verleihung gab Dylan an, der Preis sei ihm eine Ehre. Er werde ihn, wenn möglich, selbst in Empfang nehmen. Am 16. November sagte er seine Teilnahme an der Zeremonie der Preisverleihung am 10. Dezember ab. Stellvertretend nahm die Künstlerin Patti Smith für Bob Dylan in Stockholm den Nobelpreis entgegen. Sie trug zur Preisverleihung den Bob-Dylan-Song A Hard Rains A-Gonna Fall aus dem Jahr 1962 vor. Die Bankettansprache ließ Dylan schriftlich übermitteln, sodass sie von der US-Botschafterin für Schweden Azita Raji vorgetragen wurde. Darin beschreibt er seine Überraschung und seinen Dank dafür, dass das Komitee die Frage, ob seine Lieder Literatur seien, die er sich niemals selbst gestellt habe, auf diese Weise beantwortet hat. Am 1. April 2017 nahm Dylan in Stockholm den Preis bei einem Treffen mit Mitgliedern der Akademie und unter Ausschluss der Öffentlichkeit entgegen. Der Musiker und Poet hatte sich anlässlich eines Konzertes in der schwedischen Hauptstadt aufgehalten. Kurz vor Ablauf der Frist am 10. Juni 2017 lieferte er die Preisrede ab, die er am 4. Juni 2017 in Los Angeles aufgenommen hatte. Er spricht darin, von Klaviermusik unterlegt, über sein Verhältnis zur Literatur und seine prägenden Vorbilder.
Er ist nach George Bernard Shaw die zweite Person, die einen Nobelpreis und einen Oscar erhielt.
Der Rolling Stone listet Dylan auf Rang zwei der 100 größten Musiker (vor ihm sind nur die Beatles als Gruppe platziert), auf Rang sieben der 100 besten Sänger und auf Rang eins der 100 besten Songwriter aller Zeiten. Am 9. Juni 2017 wurde ein Asteroid nach Bob Dylan benannt: (337044) Bobdylan.
Bildende Kunst
Nebenher betätigt sich Dylan auch als Zeichner, Maler und Bildhauer. Auf seinen Reisen durch die USA, Mexiko, Europa und Asien fertigte er Zeichnungen an, überwiegend mit Bleistift und Kohle. Erste Schwarz-weiß-Zeichnungen wurden 1994 unter dem Titel Drawn Blank veröffentlicht. Im August 2007 wurde bekannt, dass Dylan diese Zeichnungen in einem aufwendigen Verfahren koloriert hat. Ausschlaggebend für diese künstlerische Umsetzung war das Interesse der Kunstsammlungen Chemnitz, welche dieses außermusikalische Werk Dylans mit seiner ersten Kunstausstellung The Drawn Blank Series – Aquarelle und Gouachen zwischen Oktober 2007 und Februar 2008 würdigen wollte. In dieser Ausstellung wurden 170 Aquarelle und Gouachen gezeigt. Aufgrund des großen Erfolges wurde die Ausstellung bis Ostern 2008 verlängert.
2013 zeigte Bob Dylan in der Londoner Halcyon Gallery selbst entworfene und geschweißte Gartentore.